Barbara Geiser, 2013

Grünzeug schwarzweiss

Zur Ausstellung von Barbara Schultz im Botanischen Garten Bern

Nachtreben, Königskerzen, Platanen, Ziergurken. Ziergurken, Königskerzen, Nachtreben, Platanennüsse. Nüsse. Reben. Nüsse. Gurken. Oder: Cucumis, Clematis, Verbascum, Platanus.

Augen zusammenkneifen. Grünzeug wuchert und tanzt, fliegt und fällt. Eine Nachtrebe – Clematis – schlängelt in Öl über Papier. Fein zwirbeln Stängel und Ästchen, dazwischen die strubbeligen Haarbüschel der verblühten Blüten. Zittern sie im Wind? Tupfen, Flecken, Striche flirren, bilden hier einen Wirbel, dort einen Vorhang. Eine Ranke wickelt sich um eine andere Ranke, wickelt sich um die nächste, wickelt sich um, wickelt sich, wickelt ... Weiter...

Magdalena Schindler, 2010

Birdland

Willkommen im «Birdland», im Land der Vögel von Barbara Schultz. Es ist ein buntes Reich, in das uns die Künstlerin entführt, ein Reich, in dem ihre Vögel mehrstimmig zwitschern und singen, an Granatäpfeln knabbern oder sich im filigranen Geäst von Weinranken verstecken. Weiter...

Magdalena Schindler, 2010

Birdland

Willkommen im «Birdland», im Land der Vögel von Barbara Schultz. Es ist ein buntes Reich, in das uns die Künstlerin entführt, ein Reich, in dem ihre Vögel mehrstimmig zwitschern und singen, an Granatäpfeln knabbern oder sich im filigranen Geäst von Weinranken verstecken.

Seit zwei Jahren hat Barbara Schultz ihren Fokus auf das Motiv der Vögel gerichtet und damit ein Sujet gefunden, das sie in verschiedenen Variationen und Tonarten durchspielen kann, wie sie das für andere Werkgruppen mit pflanzlichen Motiven oder Fundstücken bereits ge-tan hat. So überraschend also das Tiermotiv als solches zunächst anmutet, es fügt sich organisch ins Gesamtwerk der Künstlerin ein. Dies macht auch die Hängung in der aktuellen Ausstellung in der Galerie Archivarte in Bern deutlich, bei der die Vogelbilder mit anderen Moti-ven durchwirkt sind, seien es bunte Backwaren aus Schaufensterauslagen in Mexiko oder Raumnischen aus buddhistischen Klöstern in Ladakh: Sie alle erzählen von der Poesie des Alltäglichen, die Barbara Schultz auf ihren zahlreichen Reisen immer wieder entdeckt und die sie zu Hause auf der Leinwand neu aufleben lässt.

Ebenfalls aus dem persönlichen Erleben heraus entwickelte sich bei Barbara Schultz das Interesse für Vögel, angefangen bei den Spatzen, die sich an der heimischen Weinranke gütlich tun, bis zu den exotischeren Sorten, die mit ihren morgendlichen Konzerten die Künstlerin während ihres Mexikoaufenthaltes für Peace Watch vor drei Jahren weckten. Dementsprechend notierte Barbara Schultz am 19. Februar 2007 in Olga Isabel in ihr Tagebuch: „Heute Morgen früh erwacht, es ist kalt im Raum, aber im Schlafsack warm, zuerst höre ich die Hähne, es ist noch stockdunkle Nacht, dann rufen und zwitschern und lärmen verschiedene Vögel, lustiger rhythmischer Wechsel, dann ein merkwürdiger Laut, wie Niesen. M. sagt später, ein Truthahn...“.

Hierzu bestens passt die Gruppe von neun, beieinander hängenden Vogelbilder, die sich in schönem Rhythmus Tag und Nacht zu teilen scheinen: Da gibt es die stilleren, schwarzgrundigen, beinahe samtig anmutenden Gemälde, aus denen sich einzelne wenige Vögel als dezen-te Farbflecken herausschälen. Dann sind da aber auch jene Quadrate und Rechtecke, in denen sich eine ganze Vogelschar niedergelassen hat. Als vielfach variiertes Motiv besetzen sie die Leinwand wie ein rhythmisch strukturierter Farbteppich. Flirrend kontrastieren auf «Farbgezeter» die Komplementärfarben Grün und Rot, während im Bild «silbar» die ganze Fülle der Farbpalette gefeiert wird und jeder der locker gesetzten Pinselstriche einem Flügelschlag, einem Federbüschel gleicht. Dafür, dass es in diesem Gewimmel kein Chaos gibt, hat Barbara Schultz gesorgt, indem sie ihre Vögel auf Linien sitzen lässt, die zunächst zwar wie Telefonleitungen illusionistische Schatten wer-fen, die in ihrer Regelmässigkeit aber vor allem an Notenlinien erinnern, auf denen die Vögel gleichsam ihre eigene Melodie komponieren. Blickt man zurück auf das bisherige Schaffen von Barbara Schultz, sind es am ehesten die in Reihen tanzenden getrockneten Fruchtstück-chen der Gemälde aus den Jahren 1997/98, an die man sich hier erinnert fühlt.

Selten hat Barbara Geiser zu so starken Farben wie hier gegriffen, eine ebenso mutige wie freche Neuerung, zu der sie sich unter anderem von der Farbenpracht Mexikos hat inspirieren lassen – man denke etwa an die dort gewebten und gestrickten Stoffe – und die sich in einem ganz anderen Motiv bei ihr wiederfindet, nämlich bei den köstlich bunten Backwaren. Sie werden uns in der jetzigen Ausstellung im Kon-text einer kleinformatigen Bildserie, dann aber auch in den beiden grösseren Tortenbildern präsentiert. Für sie hat die Künstlerin die Zuta-ten mit pastosen, deckenden Farben auf der Leinwand gleichsam zu üppigen Kuchen aufgeschichtet. Dabei lässt die bildfüllende Präsenz der beiden Torten auch an Werke der Volkskunst denken. Während auf der einen Torte zahlreiche Kerzen fröhlich brennen, sind diese auf der anderen soeben verlöscht, schlängeln sich Rauchkringel durch die Luft. Auch gehören hier kleine Totenschädel aus Zucker zur Dekora-tion: Makaber ist das nicht, vielmehr Zeugnis eines gelassenen, gar humorvollen Umgangs mit der Vergänglichkeit. «Vanitastorte» heisst dieses Werk denn auch, was uns nicht zuletzt ins Gedächtnis ruft, dass Barbara Schultz seit langem von der barocken Stilllebenmalerei fas-ziniert ist und sich von ihr für manch ein Werk inspirieren liess. So handelt es sich beispielsweise beim Motiv der zwei kleinen Papageien mit Granatapfel auf den Gemälden «Zwei Unzertrennliche» I bis III um ein freies Zitat aus einem Blumenstillleben des deutschen Malers Peter Binoit von ca. 1620.

Mit «Birdland» hat Barbara Schultz nicht nur ihre Ausstellung, sondern auch ein ganz konkretes Gemälde betitelt: Just auf ihm sind keine Vögel im eigentlich Sinn dargestellt, sondern es überlagern sich freie Formen aus der Natur zu einer rhythmischen, wie vom Wind getrage-nen Komposition: erkennbar sind allenfalls die weinroten Blätter des Haselnussstrauchs oder gepunktete Kaktusfrüchte. «Birdland» ist also in einem offenen Sinn zu verstehen, vielleicht auch als klingende Assoziation an ein Traumland. Vor allem aber schlägt der Titel die Brücke zur Musik, die für Barbara Schultz eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. «Lullaby of Birdland» heisst der Jazzstandard aus den Fünfzi-gerjahren, der sich im Ohr der Künstlerin wie ein Vogel eingenistet hat und der bis in die jetzige Ausstellung nachzuklingen scheint. Töne improvisieren, wiederholen, verdoppeln oder einen Refrain kreieren wie im Jazz: Das sind Dinge, die Barbara Schultz auf ihre Weise mit Farbe und Formen virtuos auf der Leinwand tut, mal laut, mal leise, mal filigran, mal pastos, immer spielerisch und Neues erfindend.

 

Konrad Tobler, 2009

Vom Wachstum der Bilder

„Windgeschenke“ hiess vor nicht allzu langer Zeit eine Bild-Reihe von Barbara Schultz-Geiser. Der Titel, einem Gedicht von Hilde Domin entnommen, spricht aus, wovon die Bilder dieser Künstlerin erzählen: Hier wird zugelassen, dass der Wind Geschenke macht, dass er Dinge herweht als Sedimente – und dass der Wind sie auch wieder verweht: Blütenblätter, Blätter, Geäst. Hier wird also zugelassen, dass etwas zufällt. Der Zufall hat seinen Raum. Weiter...

Konrad Tobler, 2009

Vom Wachstum der Bilder

„Windgeschenke“ hiess vor nicht allzu langer Zeit eine Bild-Reihe von Barbara Schultz-Geiser. Der Titel, einem Gedicht von Hilde Domin entnommen, spricht aus, wovon die Bilder dieser Künstlerin erzählen: Hier wird zugelassen, dass der Wind Geschenke macht, dass er Dinge herweht als Sedimente – und dass der Wind sie auch wieder verweht: Blütenblätter, Blätter, Geäst. Hier wird also zugelassen, dass etwas zufällt. Der Zufall hat seinen Raum. Aber dieses Verfahren ist nicht zufällig, sondern getränkt von der Erfahrung, geschult an genauen Beobachtungen, geschärft von empathischer Wahrnehmung.

Strandgut der Natur
Es ist nicht nur der Wind, der der Künstlerin bei ihrer in einem gewissen Sinn bedächtigen Arbeit hilft. Es ist auch das Meer, das Dinge herschwemmt; „Strandgut“ wäre also ein möglicher weiterer Titel einer möglichen Bild-Serie. Um Strandgut zu finden, muss man stundenlang dem Meer entlanggehen, mit offenem Blick und doch Bestimmtes suchen, das auf einen zu warten scheint. Und so ist Barbara Schultz im eigentlichen Wortsinn eine Sammlerin, die auf ihren Spaziergängen, auf Reisen und Wanderungen, aber auch in ihrem Garten Dinge entdeckt, die vielleicht unscheinbar zu sein scheinen, die aber gerade deswegen etwas geheimnisvoll Wertvolles an sich haben; die deutschen Romantiker hätten solche Fundstücke und Fragmente vermutlich „Hieroglyphen der Natur“ genannt. Joseph von Eichendorff hat das – und Musik spielt im Werk von Barbara Schultz wie eine Begleitmelodie mit – in einem kurzen Gedicht so formuliert:
„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,

Triffst du nur das Zauberwort.“




Das kann sogar in der Dämmerung geschehen oder in einer Nacht, in der der Mond nur kurz zwischen den Wolken hervorscheint, wie das in den Nachtbildern, den dunklen, aber nicht schwarzen von Barbara Schultz sichtbar wird. Oder in einer kurzen Beobachtung: Kürzlich schnitt ich im Garten die Glyzine. Dabei entdeckte ich einige ineinander verschlungen Triebe. Sie glichen einem kunstvollen Knoten, wie ihn der erfahrenste Seemann sich nicht ausdenken könnte. Es sind eben solche Sujets, die Barbara Schultz zu ihren Bildern anregen. Diese zeigen denn auch vorwiegend Pflanzliches, Gewachsenes, das sich zu einem Bild-Ornament verdichtet – wobei noch vor wenigen Jahren das, was heute als Qualität erscheint, in der Malerei verpönt gewesen wäre: der Begriff des Ornaments. Jedenfalls: Auf den Bildern, in ihnen rankt und wächst es – und drängt so auch immer über das einzelne Bild hinaus.

Ranken und Raster
Kompositorisch und strukturell lässt sich dieses Wachsen im Bild, lassen sich diese Ranken auch ganz anders lesen: Sie bilden eine Art von Raster – und verweisen so auf ein Motiv, das in der Malerei des 20. Jahrhunderts ein wichtiges Element wurde, zu denken ist da etwa an Piet Mondrian oder Brice Marden. Ein Raster zieht sich über das Bild hin und lässt es sanft in die Abstraktion umschlagen. Rasterungen, auch als Wucherungen wie hier, schaffen zugleich eine Bildtiefe: Wirken sie zuerst als Vordergrund, umspielen sie so doch zugleich jene Leerstellen, in denen nichts wächst, was Gewächse wäre. Denn in den Leerstellen wächst nichts als Malerei, die derart ihrerseits mehr und mehr in den Vordergrund rückt.
So wechselt das einzelne Bild und wird zu einem Bild von Bildern. So wächst das Bild über sich hinaus – und findet seinerseits in anderen Bildern eine Antwort. Denn die Künstlerin arbeitet nicht nur mit Reihen und Variationen, sie arbeitet ebenso auch mit Konstellationen. So wie ihr die Dinge zufallen und wie sie diese sammelt, so sammelt sie ihre Bilder, besonders die runden, und lässt aus dem einzelnen ein Ganzes entstehen. Die Bilder sprechen sich dabei sozusagen an, suchen ihren Platz und ihren Ort, fügen sich in den Raum der anderen Bilder ein – ohne dass dabei ein festes, starres Gefüge entstünde, schliesslich dauert der Prozess, bis die Konstellation gefunden ist, über Tage hinweg; auch hier also ein Suchen, Finden und Wachsen.

Liebe zu den Dingen
Die wiederholte Rede vom Wachsen eines Bilder – das Wachsen des Bildes selbst, das Wachsen im Bild, das Wachsen, das sich beim Betrachten des Bildes entwickelt und das Einander-Zuwachsen der Bilder zu Konstellationen –, dies meint bei den Bildern von Barbara Schultz gewiss nichts Pathetisches oder Esoterisches. Die Haltung, die dahinter steht – auch was Farbgebung und Pinselduktus betrifft – ist eher genährt von einer Zurückhaltung; früher hätte man dafür wohl den Begriff der Demut verwendet, dem aber heute etwas allzu Untertäniges anhaftet.
Theodor W. Adorno hat für diese Haltung einen eindrücklichen Begriff gefunden, der etwas über die Haltung des Subjekts, in diesem Fall der Künstlerin, zu ihrer Umgebung oder zum Objekt aussagt: Der Begriff heisst „Liebe zu den Dingen“. Diese werden gemäss den Reflexionen von Adorno in der „Negativen Dialektik“ nicht länger unterjocht, wie das der packende Natur-Zugriff zu tun pflegt. Die Dine werden vielmehr in ihrem So-Sein geachtet – und sie würden so auch gerettet statt instrumentalisiert. Für Adorno ist das ein versöhnter Zustand zwischen Subjekt und Objekt, dem sein Eigenes erhalten bleibt – ein kurzer Augenblick des Glücks und sogar ein utopisches Moment.
Dass zu diesem dessen Vergänglichkeit gehört, ist in solcher Zurückhaltung impliziert. Was der Wind herweht, ist vergänglich und jedenfalls nur für einen kurzen Augenblick so da, wie die Künstlerin es vorfindet. Damit ist das „Windgeschenk“ durchaus auch ein „Haschen nach dem Wind“, wie das der Prediger Salomon sagt – wenn auch kein verzweifeltes, sondern, Bild geworden, ein schönes.

 

Therese Bhattacharya-Stettler, 2006

„Never Touch a Witch’s Comb“

Bei meiner unlängst eingehenden Beschäftigung mit Meret Oppenheim in Hinblick auf die Ausstellung im Kunstmuseum Bern erinnerte ich mich, dass ich vor mehreren Jahren von Barbara Schultz ein von ihr gemaltes Blatt in die Hand gedrückt bekam, das Merets markantes Gesicht mit hochgezogenen Augenbrauen zeigt, Blau und Grün dominieren - es hing seither immer in meinem Zimmer. Weiter...

Therese Bhattacharya-Stettler, 2006

„Never Touch a Witch’s Comb“

Bei meiner unlängst eingehenden Beschäftigung mit Meret Oppenheim in Hinblick auf die Ausstellung im Kunstmuseum Bern erinnerte ich mich, dass ich vor mehreren Jahren von Barbara Schultz ein von ihr gemaltes Blatt in die Hand gedrückt bekam, das Merets markantes Gesicht mit hochgezogenen Augenbrauen zeigt, Blau und Grün dominieren – es hing seither immer in meinem Zimmer. Es ist eines der frühesten „Porträts“, wie sie deren – nunmehr mit dem Titel „Augenzwinkern“ überschrieben – jetzt vorwiegend nach vorhandenem Bildmaterial paraphrasiert, also verformt, verfremdet, umdeutet. Neuerdings sind es auch aus der Kunstgeschichte entlehnte Inkunabeln – seien sie von van Eyck oder von Fouquet – welche sie sich aneignet und denen sie einen neuen Kontext verschafft.

Dass Meret Oppenheim durchaus das Interesse von Barbara Schultz weckte, mag auch mit der Tatsache zusammenhängen, dass sie ihr in ihrer Auffassung von Natur und der insistierenden Annäherung an deren Phänomene nahe kommt. Denn Oppenheim hat sich in vielen ihrer Werke stark mit den Grenzen und Verbindungen zwischen Natur und Kultur und all ihren Metamorphosen befasst, um dem „Geheimnis der Vegetation“ – so einer ihrer Werktitel - auf den Grund zu kommen. Und eine ihrer frühen Collagen heisst Das Paradies ist unter der Erde, mit einem Ziehbrunnen, der in die Erde hinunter führt; aber am anderen Ende eröffnet sich dem Betrachter die nach oben hin verwehrte Aussicht auf einen Himmel. Im Inneren des Brunnens ist ein Baum. der nach unten wächst - weiter in den unterirdischen Himmel. Die Welt oberhalb der Erde wird ausgeblendet. Und später zog sie beispielsweise der Achatstein in ihren Bann, mit seiner schönen Streifenzeichnung und den bunten Aderungen, entstanden durch rhythmische Kristallisation in konzentrischen unregelmässigen Schichten. Kein anderer Stein ist so reich an Farben und Formen - der Ursprung seines Namens geht auf den ersten bei Theophrast und Plinius literarisch beschriebenen Fundort zurück, den Fluss »Achates« in Sizilien.

Wenn ich nun bei Barbara Schultz beispielsweise die Faszination für die in Wüstengebieten beheimatete, äusserst geheimnisvoll aufgerollte Rose von Jericho (Anastatica hierochuntica) mit ihren trockenen Ästchen und Blättern – welche bei Wasserkontakt immer wieder aufblühen und sich neu entrollen und danach wieder verdorren können – oder für die knorrige Form der Baumnüsse mit all den Ein- und Ausbuchtungen konstatierte, kam ich nicht umhin, an Merets unermüdliche Erprobungen mit gewissen Naturphänomenen zu denken. Auch Barbara Schultz holt Gegenstände aus dem Dunkeln ihres Fundortes hervor und setzt sie der Analyse aus. Sie unternimmt auch mithilfe alter botanischer Bücher minutiöse Erkundungen, „botanische Reisen“ nennt sie sie. Die eingeklebten Blüten, Knospen und Blätter irgendeiner botanischen Systematik à la Linné werden in einen neuen Kontext gestellt. Sie geht immer assoziativ vor, nähert sich der Form, indem sie Bezug nimmt auf alle ihr impliziten Konnotationen. Auf ausgedehnten Reisen findet sie für sich ein Motiv, eine Technik, ein Verfahren, das sie auslotet und das sie nicht loslässt, bis alle Möglichkeiten erprobt sind. Oft gibt es Anknüpfungen in einem nächsten Schritt, sei dies nun eine neue serielle Arbeit oder eine Fortführung des zuvor eingeschlagenen Verfahrens. Immer aber entstehen auf diese Weise Werkgruppen, deren Einzelteile sich komplementär verhalten, untereinander in Verbindung stehen und sich ergänzen. So hat sie in Indien und Frankreich eigenartige Körbe und ungewöhnliche Abschrankungen photographiert. Zurück zuhause fokussiert sie den Blick auf dieses ausgeklügelte Flechtwerk oder das komplexe Gestänge. Es entstehen monochrome Pinselzeichnungen in Oel, die jede sowohl für sich allein wie als Gruppe einen Prozess des Schauens und Verwandelns auslösen.
Immer wieder machte Oppenheim das Verborgene und Unsichtbare zu ihrem Motiv. Eines ihrer Gedichte beginnt mit den Worten: „ Ich muss die schwarzen Worte der Schwäne aufschreiben“, ein anderes lautet: „Verlassen, Vergessen / So schwarz am Haferstrand. / Ich will die Zeit nicht messen / Die diesen Schmerz erfand“. Von Schwarz dominiert sind auch die "Nachtstücke" von Barbara Schulz, Gemälde, aus deren dunklem Geviert vereinzelte geheimnisvolle, pflanzenähnliche Zeichen aufscheinen, alles schwarz in schwarz - Ranken, die aus der Dunkelheit hervordrängen.<br> Durch intensive Farbigkeit heben sich von den andern eher monochromen Werkgruppen die Windgeschenke ab, so benannt nach einem Gedicht der unlängst verstorbenen deutschen Lyrikerin Hilde Domin (*1909-2006). Es sind spontane „Einfälle“, vibrierende Eingebungen gleichsam, ausgelöst wie stets durch ein visuelles „Fundstück“ – sei dies nun eine Blüte, ein Zweig, ein Gewebe oder auch nur ein winziges Samenkorn. Die kleinformatigen Blätter sind zwar als Einzelwerke gedacht, jedes ist ein „Windgeschenk“, etwas „Zugeflogenes“, entstanden in einem Moment; doch indem sie die Künstlerin für mich alle am Boden aneinanderreihte, ergab sich eine Art Raster, aus dem sich auch logische Sequenzen entwickeln. Es entstand auf diese Weise ein epischer Rahmen, in welchem die einzelnen Bildkompartimente mit unterschiedlichem Formeninventar ein Thema variieren, sich aber auch gegenseitig ergänzen und in eine optische Wechselwirkung treten.

Als Windgeschenke könnten imgrunde alle Bilder von Barbara Schultz überschrieben werden. Auch die mit grosser Geste entstandenen Leinwandbilder fokussieren oft einen Gegenstand, abgelauscht dem unerschöpflichen Repertoire der Naturschauspiele. Auch hier finden sich „herangezoomte“ Einzelteile, die sie durch farbliche wie formale Kontraste in einen neuen Kontext bringt – und stets ist, einem wiederkehrenden Refrain gleich, eine enge Verbundenheit zu den Vorgängen und Wandlungen in der Natur präsent.

"Never touch a witch's comb" will Barbara Schulz als Motto über ihren neuesten Werkgruppen. Diese geheimnisvoll mahnenden und zugleich auffordernden Worte erinnern letztlich auch unweigerlich an Meret Oppenheims Hexenküche, zumal in beiden Fällen Hexe als die althochdeutsche »Hagzissa« oder Hagazussa zu verstehen ist, die „Zaunreiterin zwischen den Welten“, die mit einem Bein in der Welt der Menschen (der Welt innerhalb des Hags), mit dem anderen in jener der Geister und der Naturwildnis steht. Das sich daraus entwickelte Wort "Hexe“ verweist auf eine Grenzgängerin, die aus einer unerschöpflichen Anderswelt Erfahrungen und künstlerische Ideen zaubert.